Kinder als erste Opfer

Vor der Jahrhundertwende entstanden Ideologien, die Rassenunterschiede in den menschlichen Gesellschaften propagierten. Mit humangenetischen züchterischen Maßnahmen, der Eugenik, sollten Menschen in eine bestimmte Richtung entwickelt werden.

Zu dieser Zeit entstand das Gedankengut zur Züchtung und Entwicklung einer arische Rasse. Die Schrift eines Juristen und eines Arztes über "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens", die 1920 erschien, wurde dann zur Basis einer breit geführten Diskussion über menschenvernichtende Maßnahmen und über "rassenhygienische" Programme.

Mit dem Beginn der Nazi-Herrschaft in Deutschland fand das eugenische Gedankengut dann seine folgenschwersten antihumanistischen Auswirkungen.

Die Nationalsozialisten hatten sich zur pseudowissenschaftlichen Begründung ihrer auf einer mystisch - biologistischen Basis aufgebauten willkürlichen Rassenideologie schon frühzeitig der für sie brauchbaren Ideen der Eugenik bemächtigt.

Sie wandten diese in der Folgezeit zur Durchsetzung ihrer Rassenzuchtziele unter der Bezeichnung "Erb- und Rassenpflege" an.

Der Zusammenschluß menschenzüchterischen Gedankengutes, pseudowissenschaftlichen Ideen, ökonomischen Bestrebungen in der Gesundheitspolitik und menschenverachtender Politik führten dann zu den tausendfachen Verstümmlungen und Morden an Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen.

Menschen, die nicht in die politische Landschaft des Nationalsozialismus paßten, wurden getötet oder aus dem politischen Lebens ausgeschlossen.

Eine entsprechende Propaganda sorgte für die Verbreitung dieser Ansichten und warb um Zustimmung zu diesen Maßnahmen.
Hier einige Beispiele:


Neues Volk 1936

Eigentlich gab es damals nur einen Wissenschaftler und Leiter einer psychiatrischen Anstalt, der Würde und Mut besaß. Das war der Arzt Dr. Ewald Meltzer vom Katharinenhof in Großhennersdorf (Sachsen). Er warnte vor der Eugenik und der Vernichtung des sogenannten lebensunwerten Lebens. Als er 1938 starb, kurz bevor seine Einrichtung aufgelöst wurde, wurden fast alle Kranken des Katharinenhofes getötet.

Nur wenige Vertreter der Intelligenz nahmen den Kampf gegen die Eugenik auf. Nur wenige Ärzte und Politiker sahen in den sozialdarwinistischen Theorien die sich entwickelnde Gefahr für Millionen von Menschen. Die Übernahme der Macht durch die Faschisten in Deutschland brachte dann auch bald spürbare Einschränkungen für die psychiatrischen Anstalten.


Gesetze, wie das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933, gaben dem Staat die Macht, "rassenhygienische" Maßnahmen durchzusetzen. Mit Hilfe dieses Gesetzes erfolgte die Freigabe der Zwangssterilisation in Deutschland und in den später okkupierten Gebieten.

Bereits 1934 hatte Hitler gegenüber dem Ärzteführer Wagner die Notwendigkeit erklärt, das deutsche Volk von den "Ballastexistenzen" (gemeint waren psychisch Kranke) zu befreien. Im Zusammenhang mit einem Krieg sei die Tötung von Kranken lösbar.

Die später als "Aktion Gnadentod" bezeichnete Euthanasie - Kampagne nahm im Frühjahr 1939 mit der Kinder - Euthanasie ihren Anfang.


Hitler hatte seinen Leibarzt Dr. Brandt persönlich mit der Begutachtung des Falles eines mißgebildeten Kindes beauftragt, dessen Eltern einen Antrag auf Tötung ihres Kindes gestellt hatten. Dem Antrag wurde stattgegeben.

Das war der Anfang, die längst geplanten "erbpflegerischen Maßnahmen" durchzusetzen.
Meldebögen, zu deren Ausfüllung alle Ärzte und Hebammen verpflichtet waren, wurden dann von drei Gutachtern, darunter der Direktor der Leipziger Universitätskinderklinik, Dr. Catel, bearbeitet.
Auf dem Formular wurde durch einen mit Farbstift angebrachtes Zeichen über Leben (-) oder Tod (+) entschieden. Lauteten die drei Gutachten übereinstimmend auf Tod, wurden die kranken Kinder ohne weitere Untersuchungen in eine sogenannte Kinderfachabteilung, von denen es in Deutschland 21 gab, zur Tötung eingewiesen.

BrandtBouhlerConti

Das "Euthansie-Programm" beaufsichtigten neben Reichsleiter Bouhler Hitlers Leibarzt Prof. Brandt und Dr. Conti.

Ein Zeuge im Nürnberger Ärzteprozeß sagte aus:
"Nach dem Besuch einiger Krankenstationen (Anstalt in Egerfing - Haar) führte uns der Anstaltsleiter mit Namen Pfannmüller (Prof. Dr. med.) in eine Kinderstation.
Folgende zusammenfassende Ansprache durch Pfannmüller ist mir dem Sinne gemäß erinnerlich: Diese Geschöpfe (gemeint waren besagte Kinder) stellen für mich als Nationalsozialisten natürlich nur noch Belastung unseres gesunden Volkskörpers dar. Wir töten ... nicht durch Gift, Injektionen usw. Nein, unsere Methode ist viel einfacher und natürlicher, wie Sie sehen. Bei diesen Worten zog er unter Beihilfe ... einer Pflegerin ein Kind aus dem Bettchen. Während er das Kind wie einen toten Hasen herumzeigte, konstatierte er mit Kennermine und zynischem Grinsen: Bei diesem wird's noch zwei bis drei Tage dauern. Weiterhin erklärte der Mörder dann, daß nicht plötzlicher Nahrungsentzug angewandt werde, sondern allmähliche Verringerung der Rationen ... Pfannmüller machte kein Hehl daraus, daß er sich unter den nach der vorher geschilderten Methode zu ermordenden Kindern auch Kinder befanden, welche nicht geisteskrank waren, nämlich Kinder von jüdischen Eltern."

Auf diese Weise und mit Schlafmitteln getötet wurden auf Veranlassung des Reichsausschusses etwa 5000 Kinder.
Dargestellt wurden diese Tötungsaktionen von Ernst Klee in seinen Büchern (Fischer Verlag).

Wir konnten bei unseren Untersuchungen nichts über die Kindereuthanasie in den pommerschen Anstalten in Erfahrung bringen. Wir wissen nur, daß alle mißgebildeten Neugeborenen auch aus den pommerschen Krankenhäusern gemeldet (s. Erlaß) werden mußten und daß sie nicht in die Geburtenregister eingetragen werden durften.